Mit dieser Ausstellung werden zwei profilierte Stuttgarter Künstler, die in unterschiedlichen Sparten arbeiten, nämlich Bildende Kunst und Audio, zu einer Zusammenarbeit geführt.
Eva Schmeckenbecher hat sich vor allem mit zerschnittenen und angeritzten Fotografien einen künstlerischen Namen machen können. Ihre permutativen Videoarbeiten sind hingegen eher noch unbekannt.
Jörg Koch ist als Betreiber des onitor-Labels eine Größe der Elektronik-Szene. In den letzten Jahren jedoch hat er sich kontinuierlich experimentelleren musikalischen Vorgehensweisen verschrieben.
Beide eint ein Interesse an prozessualen Kunstformen, das, wird es zusammengeführt, eine außergewöhnliche audiovisuelle Kombination verspricht.
Für die Ausstellung beziehen Schmeckenbecher und Koch ihre jeweiligen Ansätze und Arbeitsweisen aufeinander, indem sie sich überlagernde, die Dimension Zeit auslotende Klangelemente und sich bewegende Schichten von halbtransparenten Bildfragmenten miteinander kombinieren. Sie untersuchen auf diese Weise Formen des menschlichen Verhältnisses zu Raum und Zeit.
Der Musiker Jörg Koch und die Künstlerin Eva Schmeckenbecher befassen sich für die Ausstellung „Fahren Laufen Stehen“ mit dem gleichen Fotomaterial. Es entsteht jeweils eine eigenständige Arbeit, in der auf je individuelle Weise mit dem Bildmaterial und dem Problem der audiovisuellen Konstruktion umgegangen wird.
Roadmovie, 2008
Fotografien/Videoanimation: Eva Schmeckenbecher
Musik von Jörg Koch, Uwe Schenk, Christoph Dangelmaier, Torsten Krill
Ein Roadmovie wird bei Wikipedia definiert als „Filmgenre, dessen Handlung unterwegs auf einer Fahrt mit einem Kraftfahrzeug spielt. Die Filme handeln vorwiegend vom Unterwegssein ihrer Helden und der Schwierigkeit, einen Platz in der Welt zu finden. Unterschwellig geht es letztlich darum, das zu finden, was eine Gesellschaft verkörpert und im Inneren zusammen hält. Es wird ihr ein Spiegel vorgehalten.“
Die Arbeit „Roadmovie“ ist eine digitale Animation von Fotos, die auf einer mehrtägigen Autofahrt durch Kroatien, Montenegro, Albanien und Griechenland entstanden und zu der Musik von Jörg Koch, Uwe Schenk, Christoph Dangelmaier, Torsten Krill in Relation gesetzt sind.
Sie „fahren“ auf eine Weise durchs Bild, die der Perspektive aus einem Fahrzeug heraus und dem Grundrhythmus der Musik im Wesentlichen entspricht.
Indem die Fotos einzeln in verschiedene Bildebenen zerlegt und diese dann unabhängig voneinander animiert werden, können Elemente unterschiedlicher Bilder miteinander vernetzt werden.
Halbtransparente Teile von Fotos überlagern die nachfolgenden Bilder, die wiederum fragmentiert werden und sich als weitere Ebene über die meist rhythmisch durchlaufende Fotosequenz legen bzw. einzelnen Tonspuren zugeordnet werden können.
Die Bildfragmente, die sich aus der Sequenz lösen und diese überlagern, ihre Anzahl, Größe, Dauer, Geschwindigkeit, Bewegungsart korrespondieren mit den unterschiedlichen Charakteren der Musik.
Sie sind an manchen Stellen gezielt an den Ton angepasst, an anderen ergeben sich Übereinstimmungen und Zusammenhänge zwischen Video und Audio aleatorisch – das menschliche Gehirn scheint hier ohnehin inhaltlich bzw. formal zu assoziieren.
„Roadmovie“ thematisiert insofern das Medium Film bzw. Video selbst, als die chronologische Aneinanderreihung der einzelnen Fotos zunächst an die Technik der Einzelbildanimation (Stop Motion) sowie an einen Filmstreifen erinnert und das Problem aufwirft, wie ein Übergang vom einen Bild zum nächsten geschaffen werden kann.
„Roadmovie“ kann als Analogie zur menschlichen Wahrnehmung verstanden werden:
im Vorübergehen bleiben oft nur bestimmte Teile „im Auge hängen“, überlagern neue Eindrücke, vermischen sich wiederum mit deren Fragmenten und lassen so immer wieder neue Assoziationen zu.
Eva Schmeckenbecher, geboren 1977, studierte an der ABK Stuttgart Malerei und Intermediales Gestalten. Sowohl in ihren Fotoarbeiten als auch in ihren Videoanimationen begründet ihre Skepsis gegenüber der Repräsentationsfähigkeit von Bildern ihr Vorgehen: "Beim Ablichten eines realen Gegenstandes wird er durch das Medium verändert.“ Das Bild, zu dem er jetzt geworden ist, wird in ihren Animationen als zweidimensionales Konstrukt entlarvt, indem sie es im Computer in verschiedene Bildebenen zerlegt. Diese werden animiert und das Motiv dadurch wieder ins Mehrdimensionale versetzt.
Road II, 2008
Klang- und Bildinstallation
Photographie: Eva Schmeckenbecher
Musik, Bildanimation: Jörg Koch
„Road II“ verarbeitet das gleiche Ausgangsbildmaterial, auf dem auch die Arbeit „Roadmovie“ von Eva Schmeckenbecher basiert. „Road II“ wurde mit Hilfe eines zu diesem Zweck erstellten Programms in Form eines generatives Systems erstellt. Unter Nutzung verschiedener Algorithmen und 436 Fotografien von Eva Schmeckenbecher werden Ton-Videosequenzen generiert, die später als Einzelspuren der Gesamtinstallation fungieren.
Das Ausgangsmaterial dieser Sequenzen wird vollständig aus dem Bildmaterial generiert. Helligkeitsverteilungen innerhalb eines Bildes, Farbwerte, Dichteverteilungen der Bildkanäle und weitere durch Analysen der verwendeten Bilder gewonnene Daten bilden (neben zeitbasierten Steuerquellen wie etwa LFOs) die Grundlage für die im Prozess folgende Klangerzeugung sowie die sequentielle Animation und Verfremdung der Bilder.
Die Software ist modular aufgebaut, so dass durch unterschiedliche Anordnung der Module für Analyse, Klangerzeugung und -bearbeitung, Bildbearbeitung, Bildauswahl und Wiedergabe extreme Variationen sowohl der Bild- als auch der Tongenerierung möglich sind.
Das Ausgangsmaterial für die endgültige Installation wird so durch verschiedene Verschaltungen und Parameterzuordnungen generiert. Bei Anordnungen, die musikalisch (oder visuell) zu sinnvollen Ergebnissen führen, wird die resultieren Ton- und Bildspur aufgezeichnet. Eine spätere Bearbeitung der Spuren findet nicht mehr statt. Das Arrangement dieser Einzelspuren zu einer dreistimmigen Installation erfolgt dann durch Anordnung der generierten Sequenzen in unterschiedlich lange Schleifen, die jeweils von einem DVD-Abspielgerät, einem Videoprojektor und einem Lautsprecher wiedergegeben werden. Jede Schleife läuft so in der Installation autonomen. Durch die Positionierung der Lautsprecher in unmittelbarer Nähe der Bildwiedergabe entsteht ein „Spieler“, eine räumlich zusammenhängende Einheit aus Bild und Ton, die wie ein Musiker im Raum eine visuelle und klangliche Einheit darstellt. Der Gesamtklang ist das Zusammenspiel dreier solcher Stationen. Durch die unterschiedliche Länge der Schleifen entstehen bei jedem Durchgang neue Konstellationen des Gesamtklangs, das Arrangement folgt so einem nahezu unvorhersehbaren und damit wiederum generativen Prinzip.
Der Ton der Einzelsequenzen wird vorrangig mit einem von der Software ferngesteuerten Synthesizer erzeugt. Daneben werden softwarebasierte Klangeffekte (FFT Verfahren, Granularsynthese) sowie Fieldrecordings und Samples eingesetzt. Die Bildbearbeitung basiert zum größten Teil auf „klassischen“ Techniken fragmentierender Bildeffekte wie Solarisation, Keys, Farbveränderung und Auflösungsreduktionen. Daneben kommen Verfahren zur Anwendung, wie sie etwa zur Gesichtserkennung oder zur Bewegungsanalyse in Videoüberwachungen eingesetzt werden. Die Dynamisierung des Bildmaterials erfolgt über zeitbasierte Modulationsquellen (LFOs, Verzögerungseffekte) sowie iterative Verfahren wie Rückkopplungseffekte oder nichtlinear eingebundene Zwischenspeicher im Programm. Das Programm wurde in Max/Msp/Jitter realisiert.
Jörg Koch, geboren 1971. Beschäftigt sich seit Anfang der 90er Jahre mit elektronischer Musik. Soundcollagen aus field-recordings, computergenerierte Tonlandschaften, programmierte und aus Bildern bzw. Filmen abgeleitete Tonmanipulationen sowie experimentelle Hardwareschaltungen sind Teil seiner Arbeit. Ein Schwerpunkt ist die Verwendung des Rechners als Live- und Improvisationsinstrument. In diesem Sinne gründete er 2004 die Konzertreihe „Elektrominibarklingelton“, bei der Musiker mit Computern aber auch traditionellen Instrumenten spielen. Weiterhin schafft er Ton- und Klanginstallationen und elektroakustische Kompositionen.
Zusammen mit Thomas Venker betreibt er das Label onitor, auf dem bislang über 60 Veröffentlichungen erschienen sind, unter anderem auch seine eigene Arbeiten unter seinem Pseudonym "Solovyev". Unter eigenen Namen erscheinen 2008 „10 Guitar Classics“ (Leerraum, Bern, CH) und zwei Veröffentlichungen auf Frim Fram (Stuttgart, D).
Mit freundlicher Unterstützung durch das Regierungspräsidium Stuttgart und das Kulturamt Stuttgart.
Review: Stuttgarter Nachrichten